Von der operativen Stiftung zur Vergabestiftung – ein Anschauungsbeispiel
Das Kompetenzzentrum Stiftungen der Von Graffenried Gruppe hatte im vergangenen Jahr den Auftrag, eine operative Stiftung in eine reine Vergabestiftung umzuwandeln.
Die Stiftung Brunnadere-Huus, eine auf Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen ausgerichtete Organisation, übertrug ihren operativen Betrieb auf die Stiftung Tannacker und wirkt seither als Vergabestiftung. Dabei bezweckt sie unter anderem die Unterstützung von sozialen und therapeutischen Einrichtungen für Behinderte durch die Ausrichtung von Vergabungen. Wir zeigen auf, was es bei dieser Umwandlung zu bedenken galt und wie sich der Prozess gestaltete.
Die Stiftung Brunnadere-Huus
Die Stiftung Brunnadere-Huus, im Handelsregister des Kantons Bern erst 2001 als Stiftung eingetragen, doch bereits viele Jahrzehnte als Verein tätig, verfügte über 25 vom Kanton Bern bewilligte Wohn- und Arbeitsplätze und ist Eigentümerin von zwei Betriebsliegenschaften im Brunnadere-Quartier in Bern. Vor dem Hintergrund der Einführung der Subjektfinanzierung in der Behindertenhilfe im Kanton Bern (bis anhin galt die Objektfinanzierung, die behördlichen Gelder gingen somit an die Institutionen anstatt – wie neu – direkt an die Betroffenen), entschied sich der Stiftungsrat, den Betrieb mit sämtlichen Verpflichtungen (u.a. Betreuungsverträge und Arbeitsverträge) auf die Stiftung Tannacker zu übertragen, die ihrerseits an den Standorten Moosseedorf und Bäriswil erwachsene Menschen mit einer Beeinträchtigung begleitet. Die Stiftung Tannacker führt somit heute ihren dritten Standort in den Liegenschaften der Stiftung Brunnadere-Huus und bezahlt hierfür einen Mietzins.
Die Änderung des Zweckartikels
Die Stiftung Brunnadere-Huus hatte gemäss den geltenden Statuten (auszugsweise) folgenden Zweck: «Die Stiftung bezweckt die Errichtung, den Betrieb und die Unterstützung von sozialen und therapeutischen Einrichtungen für Behinderte, insbesondere den Betrieb des «Brunnadere-Huus» und der dazugehörigen «Villa Faltenglück». Da nach der Ausgliederung des Betriebes dem Teilzweck «Betrieb von sozialen und therapeutischen Einrichtungen» nicht mehr nachgelebt werden konnte, war eine Änderung des Zweckartikels angezeigt. Grundsätzlich kann gemäss Art. 86 Abs. 1 ZGB der Aufsichtsbehörde eine Änderung des Stiftungszwecks beantragt werden, wenn der ursprüngliche Zweck «eine ganz andere Bedeutung oder Wirkung erhalten hat, so dass die Stiftung dem Willen des Stifters offenbar entfremdet worden ist». Dank differenzierter Argumentation des Kompetenzzentrums Stiftungen der Von Graffenried Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat gelang es erfolgreich, den Stiftungszweck wie folgt anzupassen: «Die Stiftung bezweckt die Unterstützung von sozialen und therapeutischen Einrichtungen für Behinderte durch die Ausrichtung von Vergabungen». Was auf den ersten Blick trivial wirken mag, ist in Tat und Wahrheit keine Selbstverständlichkeit, sind doch die Aufsichtsbehörden – in diesem Fall die Bernische BVG- und Stiftungsaufsicht (BBSA) – äusserst zurückhaltend bei der Genehmigung der Änderung von Stiftungszwecken.
Die Aufrechterhaltung der Steuerbefreiung
Neben der zustimmenden Haltung der Aufsichtsbehörde war ebenso unerlässlich, dass die kantonale Steuerverwaltung dem neuen Zweck die Steuerbefreiung zusprach. Gemeinhin gilt, dass Stiftungen, die öffentliche oder gemeinnützige Zwecke verfolgen, für den Gewinn und das Kapital, die ausschliesslich und unwiderruflich diesen Zwecken gewidmet sind, von der Steuerpflicht befreit sind. Nach Praxis der Steuerverwaltung müssen Stiftungen, die Infrastrukturen zum Betreiben eines Heimes für Menschen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung stellen, für die Gewährung einer Steuerbefreiung insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllen: a) das Heim muss bis anhin selbst betrieben worden sein, b) die Liegenschaft muss an eine steuerbefreite Organisation vermietet werden, c) es dürfen keine überhöhten Mietzinse verlangt werden (u. a. ist dies sichergestellt durch die Erhebung eines Mietzinses in der Höhe der gestützt auf die Gesundheitsgesetzgebung des Kantons Bern festgesetzten Infrastrukturbeiträge) und d) allfällige zusätzliche Vergabungen sind an steuerbefreite juristische Personen zu richten.
Da vorliegend sämtliche Voraussetzungen erfüllt waren, entband die Steuerverwaltung die Stiftung Brunnadere-Huus weiterhin wegen Verfolgung öffentlicher Zwecke von der Steuerpflicht.
Eine «Win-win-win-Situation»
Durch die bewilligte Zweckänderung sowie die weiterhin gewährte Steuerbefreiung kann die Stiftung Brunnadere-Huus auch künftig einen wesentlichen Beitrag für die Allgemeinheit leisten. Damit gewinnen alle: die Menschen mit einer Beeinträchtigung, die beteiligten Stiftungen, aber auch der Staat, der die ihm angedachte Aufgabe auslagern kann.
Giorgio Albisetti
giorgio.albisetti@graffenried-liegenschaften.ch